09. September 2022
NRW-Krankenhäuser blicken sorgenvoll auf den Corona-Herbst: Extreme Preissprünge bringen Kliniken in bedrohliche Schieflage
KGNW: Ohne Inflationsausgleich droht in der Gesundheitsversorgung ein Kollaps
Düsseldorf, 09.09.2022 – Mit großen Sorgen und unter enormem wirtschaftlichen Druck bereiten sich die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen auf die erwarteten Corona-Wellen in Herbst und Winter vor. Die seit dem vergangenen Herbst dauerhaft hohen Zahlen von COVID-19-Fällen auf den Stationen haben die Anspannung nochmals verschärft, weil damit auch die übliche Sommer-Entspannung im Klinikbetrieb ausgeblieben ist. „Die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser gehen personell und finanziell vollkommen ausgepowert in den Corona-Herbst“, sagte der Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, Ingo Morell am Freitag in Düsseldorf. „Die Sommer-Welle hat den seit Pandemiebeginn erzwungenen Ausnahmebetrieb in den Kliniken zementiert. Empfindliche Personalausfälle mitten in der Urlaubszeit haben dazu geführt, dass immer wieder Stationen geschlossen werden mussten. Solche Versorgungsengpässe könnten zum Dauerzustand werden, wenn die Krankenhäuser auf den jetzt in allen Bereichen explodierenden Kosten sitzen bleiben und dann Personal abbauen müssen.“
Mit mehr als 4.500 positiv auf Corona getesteten Patientinnen und Patienten haben die NRW-Krankenhäuser im Juli 2022 die 20-fache Zahl von COVID-19-Fällen stationär versorgt im Vergleich zum selben Monat der beiden Vorjahre. Dass die COVID-19-Fallzahlen nun wieder zurückgehen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit trotzdem nur ein Hochplateau des Infektionsgeschehens erreicht wird. Seit der Herbstwelle 2021 haben die Kliniken in NRW nur jeweils kurze Phasen einer immer nur leichten Entspannung erlebt. In der Folge konnten weniger verschobene planbare Operationen nachgeholt werden, als notwendig gewesen wären. KGNW-Präsident Ingo Morell bilanzierte: „Für die Krankenhäuser mit einer festen Kostenstruktur bedeutet diese Entwicklung, dass sie 2022 ein deutliches Minus bei den Fallzahlen und damit bei den Erlösen verkraften müssen. Dazu kommt der deutlich höhere Aufwand, der für Patientinnen oder Patienten mit einer Corona-Infektion erforderlich ist, um andere Menschen im Krankenhaus davor zu schützen. Mehraufwand, der nicht mehr bezahlt wird, seit die Bundesregierung die Aufschläge zum 1. Juli 2022 gestrichen hat.“ Zugleich verwies Morell auf die seit Ostern abgeschafften Ausgleichszahlungen, die vorher als Teil des Rettungsschirms die Liquidität der Krankenhäuser gesichert hätten. Die Berliner Ampel-Koalition müsse deshalb die gestrichenen Corona-Hilfen umgehend wieder anlaufen lassen.
Die Inflation schlägt zu: Kliniken türmen toxische Defizite auf
„Fast alle NRW-Kliniken sind finanziell geschwächt ins zweite Halbjahr gestartet. Und das ist eine toxische Ausgangslage für die nationale und internationale Energiekrise, die uns seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bedrängt“, betonte der KGNW-Präsident. „Die Preissprünge bei Erdgas und ebenso beim Strom kann kein Krankenhaus aus eigener Kraft tragen. Anders als andere Wirtschaftsunternehmen können wir diese Kosten an niemanden weitergeben. Wir türmen bedrohliche Defizite auf, weil wir Geld ausgeben müssen, das wir nicht wieder einnehmen können.“ Schon jetzt schreiben sechs von zehn Krankenhäusern rote Zahlen, hat das RWI Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt, für 2023 erwartet es diese Situation für 80 Prozent.
In dieser Lage sind die enormen Kostensteigerungen für die NRW-Kliniken nicht zu verkraften. Allein schon in diesem Jahr mussten viele Krankenhäuser trotz bestehender Verträge bis zu vierfach höhere Preise für Erdgas und das Doppelte für Strom bezahlen. In den Verhandlungen für das kommende Jahr werden aktuell bis zu acht- bis zehnmal höhere Tarife aufgerufen, beim Strom liegt die Steigerung beim Sechsfachen. Auch die Preise für Lebensmittel, medizinische Güter und ebenso Dienstleistungen wie etwa Wäschereien sind um einen oft zweistelligen Prozentsatz gestiegen. Auch wenn es eine große Bandbreite in der Betroffenheit gibt, müssen alle Krankenhäuser für 2022 und 2023 mit einschneidenden Verlusten rechnen.
Die KGNW sieht die Bundesregierung angesichts der bedrohlichen Lage für die NRW-Krankenhäuser in der Pflicht, umgehend einen Inflationsausgleich einzuführen, der die Kliniken zunächst für das Jahr 2022 stabilisiert. Die Landesregierung muss ihrer Führungsrolle auf Länderseite weiterhin gerecht werden und den Druck noch weiter erhöhen. „Das Letzte, was wir jetzt vor dem Corona-Herbst und -Winter benötigen, sind weitere wirtschaftlich bedingte Abteilungs- und Krankenhausschließungen. Wenn Professor Karl Lauterbach als verantwortlicher Bundesminister nicht handelt, droht in der Gesundheitsversorgung ein Kollaps. Krankenhausinsolvenzen, Wartelisten und überfüllte Notaufnahmen werden dann auch in Nordrhein-Westfalen zum Normalfall“, warnte KGNW-Präsident Ingo Morell. Denn ohne eine umgehende finanzielle Unterstützung durch den Bund seien die Krankenhäuser gezwungen, ihr Angebot zu reduzieren. Dies treffe dann das Personal und die Versorgung der Menschen in NRW. Deshalb müsse der Bund auch für 2023 die finanzielle Sicherheit schaffen, dass die Krankenhäuser die Gesundheitsversorgung mit allen zurzeit beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiter gewährleisten können. Es sei enttäuschend, dass das neue Entlastungspaket kein einziges Signal an die Daseinsvorsorge enthalte. „Aktuell ist die vielleicht größte Gefahr für die Daseinsvorsorge im Corona-Herbst und -Winter, dass die Krankenhäuser ihre ohnehin meist dünne oder sogar bereits geliehene Liquidität ganz verlieren“, erklärte Morell.
„Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Gefahr“
Zwischen dem 5. und 29. September 2022 gehen die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die 16 Landeskrankenhausgesellschaften gemeinsam an die Öffentlichkeit, um auf die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser vor dem Hintergrund von Inflation und Pandemie aufmerksam zu machen. Die Krankenhäuser fordern dabei vor allem einen Inflationsausgleich, um kurzfristig wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben.
Die KGNW ruft die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die am 1. September gestartete Online-Petition zu unterstützen, damit ihre Krankenhäuser im Notfall weiter für sie da sein können: www.openpetition.de/!AlarmstufeRot