„Ich möchte, dass unser Krankenhaus am Leben bleibt“
Mehr als 10.000 Krankenhaus-Beschäftigte protestieren in Düsseldorf gegen die Bundesregierung
Die wochenlangen, intensiven und anstrengenden Vorbereitungen haben sich gelohnt: Als sich die Wiese vor dem Düsseldorfer Landtag am 20. September 2023 immer mehr füllte, als immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedenster Kliniken mit Transparenten, Klatschpappen und Trillerpfeifen hinzukamen, konnte man den Protest auch drinnen im Landtag hören. Der Hashtag #RetteDeinKrankenhaus bekam 10.000-fachen Nachdruck.
Mehr als 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren es nach amtlicher Zählung der Polizei allein in Düsseldorf, die am 20. September ihre Forderung nach einer umfassenden Finanzierung der ungedeckten Inflationskosten sowie der 2024 anstehenden Tariferhöhungen lautstark vertreten haben. Ein Signal, das die Bundesregierung in Berlin nicht überhören darf, zumal es ähnlich auch von Kundgebungen in Berlin, Hannover, Frankfurt, Mainz, Saarbrücken und Stuttgart ertönte.
In Düsseldorf hat es der Künstler Jacques Tilly, als Schöpfer zahlreicher origineller und vielbeachteter politischer Karnevalswagen international bekannt, in ein Bild gefasst: Die Krankenhäuser ächzen mit weit aufgerissenen Augen unter der wachsenden Kostenlast. Doch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach schaut von oben lächelnd mit einem Blümchen im Munde zu. Viele Gruppen haben am Rande der Kundgebung vor der Plastik ein Foto gemacht. Jacques Tilly hat ihre Empfindung auf den Kopf getroffen.
Der Protest und vor allem die vielen Krankenhäusern drohende wirtschaftliche Schieflage werden uns noch länger beschäftigen. Der Bundesgesundheitsminister, dem die Kundgebung der Tausenden Klinikbeschäftigten galt, hat bisher nur mit Nebelkerzen reagiert und auf fehlende Investitionen der Länder verwiesen. Dabei haben die nichts mit der Forderung der Demonstrantinnen und Demonstranten zu tun. Der Minister ist für die Betriebskosten zuständig. Deshalb war es ein wichtiges Signal, dass die SPD-Fraktion im Landtag am selben Tag einem Antrag von CDU und Grünen zugestimmt hat, der vom Bund die vollständige Finanzierung der durch Inflation und Tarifsteigerungen verursachten Kosten einfordert.
Wir haben Kernaussagen der Kundgebung zusammengefasst. Sie finden auch Links zu verschiedenen Videos auf unserem Youtube-Kanal:
Die Kundgebung in emotionalen Bildern (Länge: 3:04): vom Boden und aus der Vogelsperspektive
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Die Kundgebung in 100 Sekunden
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„Ich möchte, dass unser Krankenhaus am Leben bleibt“: Stimmen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Länge: 1:11)
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Weitere KGNW-Berichterstattung gibt es bei Instagram, X (vormals Twitter) und Facebook. Auch viele der beteiligten Krankenhäuser haben Eindrücke von dieser großen Kundgebung geteilt, der Blick dorthin lohnt sich ebenfalls: #RetteDeinKrankenhaus.
Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW)
„Wir stehen hier für sichere, stabile Krankenhäuser. Wir wollen nicht länger von den Kosten erdrückt werden, während der Bundesgesundheitsminister teilnahmslos zusieht“, fasste Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), zusammen, warum sich die 10.000 Mitarbeitenden der NRW-Krankenhäuser vor dem NRW-Landtag am 20. September 2023 versammelt hatten. Die Lage sei dramatisch, die Krankenhäuser drohten unter den Kostensteigerungen zu ersticken. Der Künstler Jacques Tilly, der extra für die Kundgebung eine drei Meter hohe Skulptur gebaut hat, habe die Situation der Kliniken sehr passend illustriert: Lauterbach interessiere es scheinbar gar nicht, dass die Krankenhäuser von den Kosten erdrückt werden. „Wenn der unzweifelhaft zuständige Bundesgesundheitsminister und damit auch die Bundesregierung sich weiterhin verweigern, nehmen sie sehenden Auges in Kauf, dass viele Krankenhäuser unter dieser Last zerbrechen“, sagte der KGNW-Präsident, der die Kundgebung eröffnete. Den Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, Verwaltungs- und IT-Mitarbeitenden und allen weiteren Beschäftigten, die teils in Berufskleidung gekommen waren, rief Morell zu: „Den Tarifabschluss haben Sie sich alle verdient. Deswegen ist es eine Kernforderung, dass die Bundesregierung dies nachhaltig finanzieren muss.“
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
„Was uns hier und heute vereint, ist, dass wir uns um unsere Krankenhäuser zu Recht große Sorgen machen“, stellte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann zu Beginn heraus. Es sei unstreitig: Die Situation der Krankenhäuser habe sich in den letzten Monaten erheblich verschlechtert. Alles, was Krankenhäuser benötigen, sei erheblich teurer geworden. Und weil die Inflation auch die Privathaushalte treffe, sei auch die Tarifsteigerung richtig. Aber im Krankenhausbereich müsse die Tarifsteigerung refinanziert werden. Sonst könne keine Geschäftsführung die höheren Löhne bezahlen. Laumann kündigte an, sich auf Bundesebene entschieden gegen das ungeordnete Krankenhaussterben einzusetzen. An den Bundesgesundheitsminister gerichtet warnte Laumann: „Mit Insolvenzen kann man keine Krankenhausplanung machen. Das ist verrückt, wenn man das zulässt.“
Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW
Volle Unterstützung für die Demonstrierenden versprach der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, Jochen Ott. Er forderte auf der Kundgebung am vergangenen Mittwoch: „Wir können nicht klatschen und Tarife verhandeln und anschließend nicht dafür sorgen, dass diese umgesetzt werden. Das geht so nicht.“ Er stellte fest: „Das System ist unterfinanziert, die Mitarbeiter sind erschöpft, vieles funktioniert nicht mehr. Das darf so nicht bleiben.“ Eine grundlegende Reform werde nun benötigt. Schließlich sei ein funktionierendes Gesundheitssystem keine Zauberei. Wenig später am Nachmittag hat der NRW-Landtag einen Antrag der NRW-Regierungskoalition mit der Aufforderung, das ungeordnete Krankenhaussterben zu stoppen, diskutiert. Der Oppositionsführer im NRW-Landtag kündigte kurz vorher in seiner Rede an, die SPD-Fraktion werde den Antrag von CDU und Grünen unterstützen: „Wir werden gemeinsam dafür in Berlin streiten.“
Jürgen Müller, Landrat des Kreises Herford
Wie dramatisch die Lage in den Landkreisen derzeit ist, schilderte der Landrat des Kreises Herford und SPD-Kommunalpolitiker, Jürgen Müller. Er beobachte einen gefährlichen Niedergang der Daseinsvorsorge. Der Bund sei aufgefordert, die gestiegenen Betriebskosten auszugleichen. An die Mitarbeitenden der NRW-Krankenhäuser gerichtet stellte er heraus: „Sie verdienen die Lohnsteigerung ohne jeden Zweifel. Was Sie auch verdienen, ist ein sicherer Arbeitsplatz, um den Sie sich keine Sorgen machen müssen.“ Krankenhäuser dürften nicht gezwungen werden, die gestiegenen Kosten durch Einsparungen zu finanzieren, mahnte Müller.
Danielle Bohm, Mitglied der Pflegedienstleitung am Klinikum Gütersloh
Unter tosendem Applaus betrat Danielle Bohm, Mitglied der Pflegedienstleitung am Klinikum Gütersloh die Bühne der Kundgebung. Bei der täglichen Arbeit im Krankenhaus mit den Patientinnen und Patienten träten Menschlichkeit und Empathie leider immer mehr in den Hintergrund, erklärte sie. Der eigene Anspruch an den Beruf könne nicht mehr gelebt werden. Ihr dringlicher Appell an die Politik: „Es hilft nicht, wenn jeder es den anderen in die Schuhe schiebt. Es ist wichtig, dass sie anpacken, dass sie anfangen.“ Jetzt sei Zeit zu handeln – nicht erst in drei Jahren. Dass der Bundesgesundheitsminister nicht handele, empfänden die Beschäftigten als „arrogant und empathielos“, sagte Bohm.
Uwe Meyeringh, stellvertretender Landesfachbereichsleiter Nordrhein-Westfalen bei ver.di
Uwe Meyeringh, stellvertretender Landesfachbereichsleiter Nordrhein-Westfalen bei ver.di, fasste die Motivation der versammelten Mitarbeiter auf der Kundgebung in Düsseldorf zusammen: „Es geht um die Versorgungsqualität, um Geburten, um Menschen die leiden, es geht um unsere Arbeitsplätze.“ Die Probleme der Krankenhäuser seien nicht neu, sie verstärkten sich aber durch die Inflation. Meyeringh versicherte: „Wir stehen heute entschlossen zusammen, um gemeinsam mit den Partnern der Allianz zu zeigen, dass die Bundesregierung schnell handeln muss.“ ver.di hatte unter den Mitgliedern zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen.
Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und 1. Vorsitzender des Marburger Bund Landesverbandes NRW/Rheinland-Pfalz
Die Beschäftigten in den Krankenhäusern hielten die Versorgung „schon irgendwie“ aufrecht, beschrieb Dr. med. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Landesvorsitzender des Marburger Bundes, den Umgang mit den Mitarbeitenden in den Krankenhäusern. „Wir gehen schon lange an unsere Grenzen, dafür brauchen wir einen verlässlichen Rahmen und eine ausreichende Finanzierung und nicht das Gefühl, das Geld auch noch von zuhause mitbringen zu müssen“, stellte er klar. Gehle forderte: „Tarifsteigerungen müssen nicht einmal, sondern immer ausgeglichen werden. Die Inflation muss nicht einmal, sondern immer voll ausgeglichen werden.“
NRW-Allianz für die Krankenhäuser
Ein breites Bündnis von Verbänden, Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen – die „NRW-Allianz für die Krankenhäuser“ – hat sich den Forderungen der Mitarbeitenden auf der Kundgebung vor dem Düsseldorfer Landtag angeschlossen. „Diese breite Unterstützung zeigt, dass die Sorge um die wirtschaftliche Stabilität der Krankenhäuser nicht nur die Klinikträger selbst umtreibt“, erklärte KGNW-Präsident Ingo Morell. Die „NRW-Allianz für die Krankenhäuser“ wird getragen von den drei kommunalen Spitzenverbänden Landkreistag, Städtetag sowie dem Städte- und Gemeindebund, dem kommunalen Arbeitgeberverband, den Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, der Pflegekammer NRW, den Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund, der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe sowie der Caritas in NRW, dem Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte, dem Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands und dem Verband der Privatkliniken NRW. Zur Kundgebung am 20. September hat die NRW-Allianz für die Krankenhäuser eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht.
Jacques Tilly, Künstler
Zur großen Freude der Demonstrierenden kam er als Überraschungsgast auf die Wiese vor dem Düsseldorfer Landtag: Der Künstler Jacques Tilly. Bekannt für seine politischen Karnevalswagen, setzte er ein deutliches politisches Statement mit einem extra für die Kundgebung gestalteten drei Meter hohen Skulptur: Die Krankenhäuser ächzen unter dem enormen Kostendruck, Lauterbach schaut lächelnd zu. Der Bau dieser ganz besonderen Plastik habe ihm sehr viel Spaß gemacht, weil er voll und ganz hinter diesem Anliegen stehe, sagte Tilly unter dem Jubel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Dr. Andreas Sander
„Ich habe noch nie vor so vielen Menschen gestanden“, räumte Dr. Andreas Sander, Moderator der Kundgebung, ein. „Aber Ihr habt es mir leicht gemacht.“ Tatsächlich gelang es ihm immer wieder, die Stimmung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kundgebung aufzugreifen. Denn dass sie mit einer Botschaft auf die Landtagswiese in Düsseldorf gekommen waren, machten sie von Anfang an klar. „Danke, dass Ihr alle Euch auf den Weg hierher gemacht habt. Danke, dass Ihr laut seid“, rief Dr. Sander, im Hauptberuf medizinischer Geschäftsführer des Evangelischen Klinikums Niederrhein. Gut kam bei den rund 10.000 Klinik-Beschäftigten besonders sein Interview mit Danielle Bohm aus Gütersloh an.
Die Ankündigung zur Kundgebung finden Sie hier.